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Reminders

Nachruf von Marc Surer in Motorsport Aktuell, Dezember 2006:

Ciao, Clay

Zum ersten Mal habe ich
von Clay Regazzoni im
ehrwürdigen «powerslide»
gelesen. Als Jugendlicher
leistete ich mir diese Monatszeitschrift
vom Taschengeld.
Da war ein Bild von einem
Schweizer Formel-3-Fahrer in
Monaco, der unter der Leitplanke
durchfuhr, die damals
nur aus einer einzelnen Schiene
bestand, und danach als
wäre überhaupt nichts gewesen
aus dem Auto stieg!
Spätestens nach seinem
Highspeed-Unfall von Indianapolis
1977 galt er als «der
Unzerstörbare».
Was hat Clay doch für eine
Karriere gehabt! Wer
kann, damals wie heute, das
Glück haben, gleich mit Ferrari
in die Formel 1 einzusteigen?
Dass es dabei auch gleich
die ersten Punkte gab, beweist,
dass Enzo Ferrari ein
gutes Auge für Talente hatte.
Clay war in der Formel 3
einer der wildesten Hunde. Mit
einem Tecno gewann er 1970
die Formel-2-Europameisterschaft.
So war ich ganz stolz,
als 1971 mein erstes Kart auch
ein Tecno war. Die Formel 2
liebte Clay so, dass er Ende
der 70er-Jahre, längst mehrfacher
GP-Sieger, einige F2-
Einsätze bestritt, und er akzeptierte
als guter Sportler,
dass er dabei von Jungen wie
mir geschlagen wurde. Dabei
lernte ich ihn endlich kennen.
Regazzoni galt nicht zuletzt
wegen seiner Sprache als
halber Italiener. Er sprach so
gut wie kein Deutsch und ich
kein Italienisch, somit unterhielten
wir uns in der Formel-1-
Sprache Englisch.
Unglaublich: Der erfolgreichste
Schweizer Rennfahrer
und der hoffnungsvolle Nachwuchsfahrer
sprechen bei
Auftritten in der Schweiz
englisch miteinander! Vor
allem Werbeauftritte fürs alkoholfreie
Bier «Birell», wo wir
uns etwa auf einem Plakat
zuprosten, waren der Anlass
für gemeinsame Autogrammstunden
in den Supermärkten.
Die Aktion wurde nach seinem
Unfall in Long Beach gestoppt.
Ich kann mich gut an meinen
Besuch bei Clay in der
Spezialklinik in Basel erinnern.
Regazzoni lag da hilfl os im
Bett und hoffte immer noch,
dass er eines Tages wieder
gehen kann.
Es war die brutale Bestätigung
einer meiner Lebensphilosophien,
wonach Glück
und Pech sich irgendwann aufheben.
Hatte Regazzoni doch
bei so vielen Unfällen aus
verschrotteten Autos unversehrt
aussteigen können.
Dazu, und ich muss zugeben,
da war ich neidisch, hatte
er in der Formel 1 die besten
Autos gefahren. Ferrari gleich
zu Anfang und dann 1974 bis
1976. Später sass er im Williams,
als dieser das Mass der
Dinge war.
Bei meinem Einstieg in die
Formel 1 sah ich die Chance,
mich an ihm zu messen, da er
nun Ensign fuhr. Ich stufte
meinen ATS etwa als gleich
gut ein, und es war mein
erklärtes Ziel, ihn zu schlagen.
Als er das hörte, kam er zu
mir, klopfte mir auf die Schulter
und sagte: «Du musst noch
viel lernen, Marc. In der Formel
1 muss man nicht einen schlagen,
sondern alle, und das
geht nur mit dem richtigen
Material!»
Wie recht er doch hatte, er
selber war der beste Beweis.
Ich kann diese Kolumne nicht
abschliessen, ohne ein
Erlebnis zu erzählen, das
einige Jahre später geschah.
Als Regazzoni einen Grand
Prix besuchte, wohnten wir im
gleichen Hotel.
Ich trat auf den Balkon von
meinem Zimmer und sah auf
dem Balkon neben mir Clay
stehen! Sie haben richtig
gelesen: stehen.
Ich traute meinen Augen
nicht und sagte: Hey, Clay, du
kannst stehen?! – «Ich kann
auch gehen, allerdings mit
Stützen an den Knien und
Krücken.» – Aber wieso
machst du das nicht öfter? –
«Es ist bequemer im Rollstuhl,
und zudem hast du überall
Vorfahrt, du musst an keinem
Schalter und an keiner Kasse
anstehen», grinste er zurück.
Da war er wieder, der alte
schlitzohrige Clay, und so
werde ich ihn in Erinnerung
behalten. ◆

Marc Surer

Helmut Zwickel, Motoline.cc

Im
August 1970 war Jochen Rindt auf dem Weg zum WM-Titel und auf die Frage, «gibt es jemanden, den du wirklich fürchtest?» hieß seine Antwort nicht «Stewart», nicht «Brabham», auch nicht «Ickx», sondern überraschend «Regazzoni». Rindts Begründung: «Weil der so verrückt fährt, wie ich in meiner Anfangszeit...»
Zu diesem Zeitpunkt hatte der 1939 in Porza bei Lugano geborene Schweizer erst drei Formel 1 Grand Prix auf Ferrari hinter sich.
In diesem stillen Mann aus dem Tessin schienen viele Gegensätze zu schlummern. Er spielte Fußball beim Viertligaklub FC Noranco. Zu Hause spielte er am liebsten Karten. Beim Fußball agierte er eher zaghaft, weil er sich nicht verletzen wollte.
Im Rennwagen jedoch hatte er keine Hemmschwelle.
Als sich in Monaco sein Formel 3-Techno in die Leitschienen bohrte, wäre jeder andere wahrscheinlich geköpft worden. Clay jedoch zog seinen Kopf geistesgegenwärtig nach rechts ein und rutschte samt dem Rennwagen unter dem Schafott durch und blieb unverletzt.

Er war in mehr Unfälle verwickelt als jeder andere Rennfahrer, doch er schien unverwundbar wie Sigfried.
Er kam zurecht, als sich auf dem Straßenkurs von Caserta in Italien eine Massenkarambolage zusammenbraute, in der Geki Russo und der Schweizer Beat Fehr ums Leben kamen. In Zandvoort war Regazzoni mit dem Briten Chris Lambert beim Überrunden in einen Unfall verwickelt, der Lambert das Leben kostete.
Clay war eine Rennfahrer-Spätlese. Erst 1963, im Alter von 24 Jahren, kam er mit dem Autosport in Berührung, bei einem Rennfahrerkurs in Monthléry. Die Epoche der Kart-Kids war noch nicht angebrochen.
Seinen ersten Sieg feierte er 1967 auf der spanischen Jarama-Strecke in der Formel 3. Sehr bald zog er sich den Ruf eines Kamikaze-Piloten zu. Über die Formel 3 kam er in die Formel 2.
Für Ferrari war er wie geschaffen, Maranello war immer auf der Suche von Helden, die Tod und Teufel nicht fürchteten. Ende 1968 bot ihm Ferrari erstmals einen Formel 2-Vertrag an, doch Ferrari konnte Clay kein Siegerauto bieten, daher kehrte er wieder zu Tecno zurück.
Als er am 21.Juni 1970 in Zandvoort auf einem Werks-Ferrari sein erstes Formel 1-Rennen bestritt, war er bereits knapp 30 Jahre alt. Dann gewann er in Monza den Italien-Grand Prix, jenes Rennen, bei dem Jochen Rindt im Training tödlich verunglückte.

1973 fuhr er für BRM, 1974 bildete er mit Niki Lauda das von Luca di Montezemolo neuformierte Ferrari-Team, er gewann auf dem Nürburgring und wurde hinter Fittipaldi WM-Zweiter - diese Saison war zweifellos seine beste.
1975 wurde sein Teamkollege Niki Lauda Weltmeister und Clay nur Fünfter. Niki nannte Clay «Jakob», er hebelte den Schweizer meist mit seiner glasklaren Logik aus, und mit dem besseren Durchblick beim Abstimmen der Autos. Selbst mit einer größeren Risikobereitschaft waren gegen diesen Lauda, der keine Schwächen zeigte, nur Stehplätze drinnen.
1976 duellierten sich Lauda und Hunt um den Titel, der Brite gewann mit einem Punkt Vorsprung, Regazzoni wurde wieder nur Fünfter, aber er gewann in Long Beach.

Bei Enzo Ferrari fiel er wegen seines Lebenswandels in Ungnade.
Clay war ein Pfeifmichnichts, ihm fehlten die Sensoren für das, was bei Ferrari erlaubt war. Selbst seine große Popularität in Italien konnte ihm nicht bei Ferrari das Leben retten.

Daraufhin wechselte er 1977 zum britischen Ensign-Team. 1978 fuhr er für Shadow, aber die Karriere lief dort auf einer schiefen Ebene. 1979, er war bereits 40, ließ er bei Williams nochmals sein großes Können aufblitzen. Er war jetzt gereift, aber immer noch sehr schnell, für Williams war er ein Gewinn, wie er mit seinem Sieg im Britischen Grand Prix demonstrierte, der als allererster Sieg des Williams-Team in die Geschichte einging. Clay wurde Zweiter in Monaco und in Hockenheim, trotzdem ließ ihn Williams fallen, um sich Carlos Reutemann zu angeln.
1980 traf ihn das Unheil. Er kehrte zu Ensign zurück, und es passierte im vierten Rennen der Saison, beim US-West Grand Prix in Long Beach. Für Clay war es der 132.Grand Prix Start. Ensign hatte, um 20 Dekka Gewicht zu sparen, das Bremspedal aus Titan gefertigt, ohne aber die Bearbeitung dieses spröden Materials zu beherrschen. Als auf diesem Stadtkurs, der von Betonblöcken eingerahmt war, das Titan-Pedal brach, prallte der Ensign ungebremst in einen ausgefallenen Brabham um dann in der Auslaufzone an einem Betonsockel zu zerschellen.
Clay war seit damals am Unterkörper gelähmt, er saß im Rollstuhl, aber zum Unterschied eines Frank Williams konnte er ein völlig selbständiges Leben führen und vor allem, er konnte immer noch Auto fahren, weil er sich Kupplung, Bremse und Gas in einer ausgeklügelten Technik für Handbedienung rund um das Lenkrad anbringen ließ.

Clay Regazzoni war ein bunter Farbtupfen in der Grand Prix Szene, den alle sehr gern hatten. In einem Verkehrsunfall zu sterben, ist für einen Grand Prix Piloten so, als wenn ein Extrem-Kletterer beim Sturz von einer Zimmer-Leiter ums Leben kommt.

Helmut Zwickl. Wer sich im deutschsprachigen Raum für den Motorsport interessiert, kommt an Helmut Zwickl nicht vorbei. Seit über vierzig Jahren berichtet Zwickl für den Kurier über die Vorkommnisse in der Formel 1. Auch in der Wochenzeitung Motorsport Aktuell oder in der Autorevue findet man Berichte und Analysen von Helmut Zwickl, der ebenfalls verschiedene Bücher zur Formel 1 schrieb.

Aus: www.motoline.cc, 15.12.2006